06. Dezember 2024
Deutschland streitet über den Islam. Dabei ist es ganz einfach: Religionskritik und Religionsfreiheit müssen geschützt werden.
Mit dem Ablegen des Kopftuchs sollen die Lehrerinnen ihre Loyalität zum Staat bekunden. Ein solches forciertes Treuebekenntnis hat nichts mit staatlicher Neutralität zu tun.
Im November 2023 wandte sich der deutsche Vizekanzler Robert Habeck an die Musliminnen und Muslime im Land. Im Zeichen des Gaza-Kriegs erklärte er, dass sie zwar einen Anspruch auf Schutz vor rechtsextremer Gewalt hätten, sich aber auch klipp und klar von Antisemitismus distanzieren müssten, damit sie »diesen Anspruch auf Toleranz nicht unterlaufen«. Der Grünen-Politiker drohte also über 5 Millionen Menschen mit dem Entzug ihrer Sicherheit und Religionsfreiheit, sofern sie keinen deutlichen Beweis ihres Wohlwollens darbringen. Das ist besonders zynisch, wenn man bedenkt, dass nach dem 7. Oktober 2023 nicht nur antisemitische, sondern auch antimuslimische Hassverbrechen zugenommen haben. Dies geht aus einem Lagebericht der Organisation CLAIM aus dem vergangenen Jahr hervor.
Nach dem islamistischen Anschlag in Mannheim im Mai 2024 sprach der Finanzminister Christian Lindner auf X (ehemals Twitter) von »falscher Toleranz«. Worin jene genau bestehen soll, erläuterte er nicht. Doch speziell im Zusammenhang mit dem Islam werden häufig genau diese oder ähnliche Worte gewählt – nicht nur in der Politik, sondern auch in den Medien, bei Expertinnen und Experten oder anderen Personen des öffentlichen Lebens. Man zeichnet das Bild einer wilden, ungezügelten Religion, die sich zu einer staatszersetzenden Gefahr entwickeln könnte. Daher müsse ihre Entfaltung beobachtet und reguliert und ihre Freiheit im Notfall beschränkt werden.
»Im Römischen Reich wurden Christen, die sich dem Kaiserkult widersetzten, verfolgt.«
Das alles ist Ausdruck eines Misstrauens gegenüber der muslimischen Religionsgemeinschaft, das nicht erst mit dem 7. Oktober oder dem Anschlag in Mannheim entstand. Schon seit Jahren werden Säkularismus und Sicherheitsbedenken missbraucht, um diese eine Glaubensgemeinschaft anzugreifen – unter dem Vorwand, die Souveränität des Staates zu schützen. Dabei wird die Legitimität gewisser Ausdrucksformen dieser Religion wiederholt infrage gestellt: Kopftücher, Minarette, Halal-Schlachtung, Fasten und so weiter. Dinge, die eigentlich von der Religionsfreiheit gedeckt sein sollten, werden in Debatten um einen staatsgefährdenden »politischen Islam« hineingezogen. Dieses Muster, bestimmte Religionsgemeinschaften auszusondern und sie mit Misstrauen zu belegen, ist nicht neu. Im Gegenteil, es ist antik.
Schon das Römische Reich gewährte verschiedenen Glaubensgemeinschaften religiöse Toleranz und Freiheit, die jedoch an eine Treue zum Staatskult gebunden war. So wurden Christen, die sich dem Kaiserkult widersetzten, verfolgt. Verdächtige wurden dazu genötigt, als Treuebeweis Opfer vor dem Bild des Kaisers darzubieten. Auch im mittelalterlichen Islam erhielten Angehörige von »Buchreligionen« wie Christen und Juden eine gewisse Freiheit, mussten jedoch Abgaben zahlen und galten als Bürger zweiter Klasse.
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Ilyas Ibn Karim ist Religions- und Kulturwissenschaftler mit muslimischem Hintergrund.